Band 7 Königliche Affären – Tötet den König Leseprobe
Die Haustür war offen, das Schloss war kaputt und es interessierte
wahrscheinlich niemanden denn in diesem Haus gab es nichts zu stehlen. Die
Stufen der schmalen Treppe knarrten leise als Terrence sie hinaufstieg,
eingehüllt in eine Wolke von Gerüchen: Kohl, Zwiebeln, Bratfisch, billigen Gin,
schales Bier, Urin. Auf jedem Absatz gab es drei Türen – drei kleine
Wohnungen. Zwei mit drei kleinen Zimmern, eine mit einer Kammer. Die
beiden größeren Wohnungen waren voll belegt, acht, zehn oder mehr Menschen.
Und die Kammern teilten sich oft drei, vier Personen, obwohl dort kaum ein
Bett Platz hatte.
Die Kammer ganz oben, an der Südseite war jedoch besonders, dort wohnte nur
eine Person. Die Tür war nicht abgeschlossen und Terrence trat ein. Es war kühl
in der Kammer, durch die beiden winzigen Fenster zog es und sie waren so
dreckig das alles im Dämmerlicht lag. Ganz hinten, hinter einer alten
Segeltuchplane stand das Bett, zwischen den Fenstern ein Kanonenofen der nur
noch Restwärme ausstrahlte. Auf dem Ofen ein kleiner, abgedeckter Topf.
An der anderen Seite ein winziger quadratischer Tisch mit zwei wackeligen
Hockern. Auf dem Tisch eine halb heruntergebrannte Kerze, daneben eine
Blechtasse mit einem Schluck kalten Bier. Statt eines Kleiderschrankes gab es
einige schweren Metallhaken die jemand in einen Balken geschlagen hatte.
Terrence stellte den Beutel aus Sackleinen neben den Ofen und holte zwei
Holzscheite hervor die er in den Ofen tat.
Dann setzte er sich und wartete. Er wusste das eine Weile dauern würde bevor
der Bewohner der Kammer zurück kam von seinem morgendlichen Ausflug.
Dann würde er essen und sich ausruhen. Und in der Dämmerung erneut
aufbrechen denn auch ein guter Taschendieb brauchte vor allem Zeit und
Geduld.„Tue ich das richtige? – Es kann sein das ich jemanden in den Tod schicke.
Saunders wird ihn töten sollte er herausfinden das er ein Spion ist. Kann ich das
verantworten? Gibt es keinen anderen Weg? Was ist mit dem Rest der Culver
Street Gang? Ob die anderen schon etwas gehört haben? Nein,
unwahrscheinlich, nicht in so kurzer Zeit. Aber Paddy hatte ja das Gerücht
gehört das Dudley und Mallory im Süden der Stadt sind. Vielleicht ...“
Irgendwo im Haus schrie ein Baby, gleichdarauf ein Mann und eine Frau,
jemand brüllte im Treppenhaus.
„Cad hat gesagt das er Saunders aufhält, wenn wir es nicht tun. Er sagt, er kann
die Wahl manipulieren. Bestechung? Drohungen? Oh Gott, er legt einfach die
Lieferkette für gestohlene und geschmuggelte Waren lahm, er schneidet die
kleineren Gangs vom Nachschub ab. Er hat genug Leute um zeitweilig alles
selbst zu machen. Und seine Geschäftspartner werden ihm nicht reinreden, so
lange die Ware beim Kunden ankommt. Aber der Preis den er verlangt ist mir
viel zu hoch. Er will ein Jahr meines Lebens.“
Die Tür öffnete sich. Der Junge der eintrat war etwas älter als Terrence, ungefähr
genauso groß. Helles Haar, helle Augen. Er rümpfte die Nase.
„Benutz eine andere Seife – dieses Vaniliezeug riecht man im ganzen Haus. Das
fällt auf. Die Leute könnten ja noch annehmen das ich mein Geld jetzt am
Finsbury Park verdiene. Die Vorstellung missfällt mir.“
Der Junge hängte seinen Hut und den Mantel auf, kramte in den Taschen herum
und legte mehrere Geldbörsen, zwei Uhren, einen Tabaksbeutel, eine Brosche,
drei Seidentaschentücher, und eine Handvoll Kleingeld auf den Tisch.
„Zähl mal“, forderte er Terrence auf und wandte sich dem Ofen zu wo der
Eintopf inzwischen leise blubberte. „Und danke für das Brennholz.“
„Keine Ursache“, brummte Terrence und begann das Geld zu zählen.
„Es ist also soweit?“
„Ja. – Du kannst immer noch aussteigen.“
„Ich habe dir damals mein Wort gegeben, Ire. Niemand soll sagen, dass ein
Engländer sein Wort gegenüber einem Iren bricht. Niemand soll sagen das ich
mein Wort gebrochen habe.“
„Du bist ein verdammt stolzer, sturer, dämlicher Hund.“
„Und stolz darauf.“
„Ich hätte dich damals ein bisschen härter ran nehmen sollen.“
„Verzichte, die Rippe spüre ich immer noch. Und ein Zahn wackelt seit damals.“
„Tut mir leid.“
„Geschäftsrisiko. – Und?“
„Ein Pfund drei Shilling acht Pence. Zwei Token zu 2 Pence.“
„Und die Geldbeutel?“
„Noch nicht gezählt.“
„Dann mach das mal. Ich brauche was zwischen die Zähne.“
„Zwei Pfund vierzehn Shilling 7 Pence, ein Knopf. – Die beiden Uhren,
höchstens drei Pfund, alt, abgenutzt. Die Brosche – 10 Pence. Die Taschentücher
– benutzt, jedes 6 Pence.“
„Drei Pfund, 18 Shilling 3 Pence, zwei Token, ein Knopf. Plus drei Pfund für die
Uhren und 2 Shilling 4 Pence für den Rest. – Hurra, ich bin reich.“
„Kannst du, wenn du Sparsam bist, vier Wochen von Leben.“
„Ja – hervorragend. Du vergisst das mich diese Bruchbude in der Woche zwei
Shilling kostet.“
„Wie kann ich etwas vergessen von dem ich nichts weiß?“
„Wie? Ja, stimmt. Gut erzähle.“
Terrence erzählte was er wusste und der andere Junge hörte aufmerksam zu.
„Ja, sieht aus als würde er ernst machen. Ich weiß nur nicht ob ich so schnell in
den inneren Kreis vordringen kann.“
„Du bist gut. Saunders weiß das. Und er weiß das du mich wie die Pest hasst.“
„Aye, das ist richtig. Ich hasse dich.
“In der Dämmerung näherte sich Terrence dem Fleet Market.
Sein Ziel war das kleine Labyrinth von Gassen, Gässchen und Durchgängen in dem sich Desmond
O ́Herlihys kleine Pfandleihe befand. Aber als er sich dem Zugang zu diesem
Irrgarten näherte hielt er unwillkürlich inne. Da stand ein Blinder an der Gasse,
klapperte mit seiner Blechtasse, ein Stück Stoff über die Augen gezogen und mit
einem kräftigen Stock in der anderen Hand. Der Kleidung nach, ein ehemaliger
Soldat. Und nur wenige Schritte weiter, auf der anderen Straßenseite lehnte ein
offenbar Einbeiniger an der Wand und entlockte seiner verstimmten Geige
klagende Töne das es in den Ohren schmerzte. Terrence rümpfte die Nase, trat
den Rückzug an. Er wählte den Weg durch eine Seitenstraße und kam von der
anderen Seite auf den Fleet Market. Auch hier hatte sich eine abgerissene
Gestalt am Zugang zum Labyrinth postiert, dieser hatte einen kleinen Hund der
Kunststücke vorführte. Und an der Rückwand einer Verkaufsbude saß ein
Betrunkener und lallte unverständliches.
„Desmond wird also beobachtet. Ist ihm Sir Richard drauf gekommen das er ein
United Irishmen ist? Vielleicht. Dann lasse ich mich da vorläufig nicht mehr
blicken, keine Lust mich mit diesem verrückten Richter in die Haare zu kriegen.
Der bringt es fertig und beschuldigt mich ein Aufständischer zu sein. Ha, damit
habe ich nichts zu schaffen. – Ich wollte ohnehin bei Paddy vorbei. Vielleicht
weiß der ja was das soll.“
„Hunger?“ fragte Paddy als sein Bruder unvermittelt in der alten Seifensiederei
stand. Er wies auf einen schon etwas angeschlagenen, teilweise verrosteten
Kessel der an einem Dreibein über einer schlecht gemauerten Feuerstelle hing.
„Wir hätten Kartoffeln mit Erbsen und holzigen Karotten, holzige Karotten,
Erbsen und Kartoffeln oder Erbsen mit holzigen Karotten und Kartoffelbeilage.
Irgendwo schwimmt auch noch eine ranzige Speckseite darin. Als Spezialgericht
bieten wir altbackenes Brot, leicht ranzige Butter und Marmelade mit weißemPferd.
Und dann hätten wir noch so komische Fladen aus Weizenmehl und Öl.
Eine Empfehlung unseres Neuzugangs Carlos. Wie heißt das Zeug, Carlos?“
„Tortillas, Senor Patricio.“
„Tortillas. – Was ist Senor?“
„Ich glaube das ist Mister auf spanisch“, lächelte Terrence.
„Den Kerl soll der Teufel holen. Mich hier anzumistern. Dem werde ich ...“
Terrence hielt seinen Bruder am Kragen fest.
„Hier, ich habe euch was mitgebracht. Die beiden mageren Viecher wollte
keiner, da habe ich sie dem Schlachter für den halben Preis abgehandelt.“
„Kaninchen! Ein Festessen. – Wen soll ich umbringen?“
„Niemanden, Blödmann. – Die Geschäfte laufen nicht? Ich denke du hast Geld
zurückgelegt, für schlechte Zeiten.“
„Habe ich. Und die Zeiten werden schlecht wenn ich es sage. Noch haben wir
genug Kartoffeln und anderes Grünzeug. Was haben die Viecher gekostet?“
„Vergiss es. – Hast du schon was wegen Dudley und Mallory?“
„Meine Informanten tasten sich heran.“
„Wieso herantasten?“
„Niemand weiß wer zu den Viking Wolves gehört. Wenn du den falschen
ansprichst hast du womöglich die Elephants am Hals.“
„Verstehe. Also ist nicht abzusehen wann du Kontakt bekommst.“
Paddy hob die Schultern.
„Derzeit nicht. – Galway, ich will ne Keule, ja.“
„Ja, aber wenn du zu spät kommst kann ich für nichts garantieren. Die sind alle
ziemlich hungrig.“
„Wovon?“ knurrte Paddy. „Lausige vier Pfund, zwei Uhren, Krimskrams – und
das an einem Sonnabend. Faule Bande!“
„Immerhin ist keiner Hopps genommen worden“, wandte Terrence ein. „Oder?“„Nein, keine Verluste.
Ja, hat schon was für sich, wenn man abends feststellt das
alle da sind. Aber die Arbeit für Boss Farnsworth hat die Burschen verwöhnt. –
Glaubst du er setzt die Bauarbeiten irgendwann fort?“
„Er wartet auf besseres Wetter damit die Abflussrohre verlegt werden können.“
„Dann bete ich für Sonnenschein.“
„Tue das. – Ich sprach gestern noch mit Cad.“
„Und das ging nicht gut aus.“
„Nicht wie ich mir das gewünscht hat. Komm hier rüber, dann können wir in
Ruhe reden.“